kuddel hat geschrieben: ↑29. Apr 2022, 12:30
Ich habe mir jetzt mal alle Beiträge dieser doch schon sehr umfangreich gewordenen Diskussion angeschaut.
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Hallo Kuddel,
... ja, es scheint, als zöge ich Diskussionen magisch an. [1]
These:
"Art und Umfang der Ausrüstung ist Teil bzw. Ausdruck des persönlichen Glücksgefühls."
Gut, dass Menschen verschieden (unterschiedlich!) sind - Art und Umfang der Ausrüstung müssen in erster Linie situationsangemessen ausgewählt werden. Bestes Extrembeispiel: Jemand fühlt sich besonders glücklich in a) langer Unterwäsche aus Schafwolle oder b) kurzer Seidenunterwäsche, und möchte einen Gewaltmarsch a) durch die Sahara oder b) an den Nordpol unternehmen.
Jegliches "Glücksgefühl" tritt da wohl der Zweckmäßigkeit entgegen, oder? In meinem allerersten "Packversuch" standen noch 5 Unterhosen/Unterhemden auf der Liste, ich war der Überzeugung, diese zu "benötigen". Es fühlte sich "sicher" an. Jedoch, wie schon oft geschrieben, laufen wir nicht quer durch das australische Outback, sondern "stolpern alle paar Kilometer" durch eine Ortschaft.
Diese "Packliste" ist in meinen Augen ein Kompromiss zu Gunsten der Perfektion. "Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann." (Antoine de Saint-Exupéry). Und wenn ich in die Vergangenheit schaue, die Pilger in frühen Zeiten gingen mit der Kleidung am Leib, einem Umhang, einem Stab, einer Kopfbedeckung und einem Bündel barfuß ab ihrem Heimatort. Kein Flugzeug oder Zug, und schon gar keine "Fahrgemeinschaft" brachte sie nach SJPDP.
Und jetzt ziehe ich den Zirkelschluß: Wem es Spaß macht, so zu pilgern, der soll es tun. Wer aber gern 35 kg auf dem Rücken tragen möchte, weil er ohne Familienzelt, Komplettküche und seinem halbem Bücherregal meint, nicht leben zu können, der soll es tun, wenn es ihn glücklich macht. Weder der Eine noch der Andere wird hier jedoch seine individuelle "Packliste" veröffentlichen.
Für mich waren die Wochen(!), die ich mich mit meiner Packliste beschäftigt habe, in gewisser Weise eine spirituelle, geistige Vorbereitung für den Weg, der vor mir liegt. Zu unterscheiden, was ist unbedingt nötig, was brauche ich dringend, was brauche ich eventuell, was kann ich auf dem Weg besorgen, wenn es mir fehlt, wonach kann ich Mitpilger fragen, was will ich unbedingt mitnehmen?
Ich wollte zuerst auch einen Kompass mitnehmen, falls ich vom Weg abkomme. Wieso nehme ich ihn nicht mit? Nicht, weil er so und soviel Gramm wiegt - nein, ich gehe nach Westen, die Himmelsrichtungen kann ich grob nach dem Sonnenstand bestimmen, ich laufe nicht durch die Wüste, und ich gehe nicht durch "Feindesland", die Menschen, auf die ich treffen werde sind mir sicherlich nicht feindlich gesonnen, werden mich folglich wieder den rechten Weg weisen können.
Ich besaß vorher diverse Dinge nicht - oder nur in im Sinne des Wortes schwererer Ausfertigung - diese Sachen kaufte ich nach mit Blick auf Gewicht, Pflegeleichtigkeit und (ich kann das Wort nicht leiden!) "Nachhaltigkeit". Der Kauf des Rucksacks hat mich, um die erste These nochmals aufzugreifen, "glücklich" gemacht, war es doch der erste Schritt zur Realisierung des "Projekt Camino Francés". Heute würde ich einen anderen kaufen. Bin ich darum mit dem jetzigen Rucksack "unglücklich? Sollte ich es sein?
Ich habe übrigens Deinen Beitrag gelesen, in dem Du das Messer erwähnt hast, mit dem Du Dir, solltest Du in eine Felsspalte stürzen, Stufen ins Eis hauen kannst. Ich habe damals überlegt ob ich antworten soll, ob Du auch einen Helm mitnehmen willst, falls Dir ein Meteor auf den Kopf fallen sollte - beide Ereignisse sind in Portugal in etwa gleich wahrscheinlich. Ich habe es unterlassen. Es gibt hier Diskussionsfäden über "Was ist das Überflüssigste, was ihr je dabei gehabt habt" und "Was ist das Kurioseste, was ihr bei Mitpilgern gesehen habt?", auch daraus kann man lernen. Und bin dennoch genau Deiner Meinung: Wenn es Dich glücklich macht, nimm das Messer mit (und lass es Dir nicht abnehmen!).
These:
"99% der Pilger sind sicher eher Freizeitsportler oder sportliche Leistungsenthusiasten."
Ich kann nur für mich sprechen, ich halte mich weder für das Eine noch das Andere. Sicherlich treibe ich regelmäßig "Sport", sicherlich auch einigermaßen gut (na gut, für die Weltspitze reicht es noch nicht),aber ist Snooker jetzt eine Sportart, deren "besondere Fähigkeiten" mich besonders für den Jakobsweg qualifiziert? Ich bin "sportlich wie ein Wandspiegel", um es mit einem Bild zu beschreiben.
Ich denke, jeder Pilger hat seinen Grund, insbesondere das allererste Mal, den Weg zu gehen. Wenn ich diese Pilger in "Schubladen" einordnen sollte, hätte ich so viele Schubladen wie Pilger - oder gar noch mehr. Daher gehe ich auf diese These nicht näher ein.
These:
"Aber Alex und Andere und auch ich machen das aus purer Freude."
Nett, dass Du für mich (und für Andere) sprichst und meine (deren) Beweggründe genau zu kennen scheinst. Glaube mir, wenn ich sage, es ist ganz anders, als Du denkst.
Danke auch, dass Du in der Lage bist, mir meine unabdingbaren Gegenstände zu lassen wie ich Dir die Deinen lasse.
Eines jedoch steht fest: Den Weg zu gehen ist für mich mehr als "nur" Freizeitgestaltung, viel mehr.
Buen Camino!
Alex
[1] Woran das wohl liegt . . . ?
Bin auf der Suche nach mir selbst und daher vorübergehend leider nicht erreichbar.
Sollte ich wieder da sein, bevor ich wieder hier bin, dann sagen Sie mir bitte, ich solle auf mich warten.