Geschafft: den Ironman der Pilgerwege

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PrinzKeksdose
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Re: Geschafft: den Ironman der Pilgerwege

Beitrag von PrinzKeksdose »

Hallo Donjohannes,
an Dich und Deine Erzählungen von der Via Columbani habe ich denken müssen als ich auf diesen Spruch traf.

Since we are travellers and pilgrims in the world, let us ever ponder on the end of the road, that is of our life, for the end of our roadway is our home
(St. Columban, 8th sermon)

Das mit der Einflugschneise war bestimmt ein "einschneidendes" Erlebnis. :D
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Camineiro
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Re: Geschafft: den Ironman der Pilgerwege

Beitrag von Camineiro »

donjohannes hat geschrieben: 22. Jun 2023, 09:03 Gewiss ein besonderes Erlebnis!
… hab mich dann auf Inis Mac Neasáin aussetzen lassen, weil die Insel unbewohnt, mit monastischer Tradition und Kirchenruine war - und vor allem als Startpunkt sehr günstig gelegen. Was ich nicht wußte ist, dass direkt über Insel eine Einflugschneise für den Flughafen von Dublin ist. Brot und Wasser waren ok. Die Insel hoch-romantisch. Aber das "Purgatorium" das aus den Blechvögeln entstand, war härter als ich wollte. :D
Na, das wäre ja was für mich.
Als ehemaliger Fluglotse hätte ich dann Blechvögel anstatt Schafe zum Einschlafen gezählt.

Kommt man auch als Nicht-Geistlicher auf die Insel?
Und wenn ja, wie?
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donjohannes
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Re: Geschafft: den Ironman der Pilgerwege

Beitrag von donjohannes »

@prinzskeksdose

ein einschneisendes Erlebnis sozusagen :lol:

Und stimmt: Predigt 8 ist für uns Pilger hier eine Fundgrube: das Leben als Pilgerschaft. Heimatlosikeit um der wahren Heimat willen. Peregrinatio als Haltung. Ich bin in diesen Tagen dabei, das neue Buch (also jenes über die Via Columbani) zu kürzen und fertigzustellen (ich möchte von 448 Seiten auf 380 kommen - Papier ist derzeit einfach zu teuer). Absatz 1 aus dieser Predigt 8 wird aber nicht rausgenommen, sondern den ganzen Erlebnissen vorangestellt

@camineiro

Auf Inis Mac Neasáin? Da geht ein Touriboot von Howth her rum. Bei gutem Wetter kann man für ein paar Stunden bleiben, wenn sie auf einer späteren Fahrt Platz für die Rückfahrt haben. Oder man fragt, ob sie einen an einem anderen Tag abholen - sofern der Wind es erlaubt. Kann also im Prinzip jeder machen (solange sich der Eigentümer nicht beschwert). Das mit dem Priester DIY meinte ich hinsichtlich des liturgischen Programms, wo jedes Eiland auf eine Weise zu Station Island werden kann - auch wenn das Erlebnis im Lough Derg natürlich etwas ganz eigenes ist. Ansonsten: auch einem Fluglotsen würde ich "meine" Insel nicht empfehlen. Wenn man in Irland ein bisschen Zeit hat, dann lohnt sich die wilde Westküste, wo es schönere und stillere solcher Inseln mit religiösem Erbe gibt.
Österreich -Santiago 1998
Liechtenstein - Jerusalem und zurück 2013-14 (http://www.4kmh.com/neo)
Triest - Cannes (Via Alpina Sacra) 2018 ( http://www.4kmh.com/vas )
Irland - Italien (Via Columbani) 2022
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donjohannes
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Re: Geschafft: den Ironman der Pilgerwege

Beitrag von donjohannes »

Beim heutigen Kürzungsgang bin ich über die passende Passage aus dem Buch - oder derweilen noch Skript - gestolpert.
Die Insel Cleenish im Lough Erne, wo Kolumban in das geistige Leben eingeführt worden war, lag nicht mehr weit. Jonas von Bobbio (Kapitel 9) berichtet von der Gelehrigkeit des Schülers, der dort lernte, aus dem Reichtum der Psalmen zu schöpfen. Heute sind von diesem frühen christlichen Zentrum keine Spuren erhalten. Wie überall waren die ersten Bauten aus Zweigen und Holz gewesen. Erst später wurden diese durch Stein ersetzt, vor allem, als man begann, die ersten Glaubensboten und ihre Schüler als Heilige zu verehren und man einen würdigen Platz für ihre Reliquien errichten wollte. In der gleichen Zeit und mit Einsetzen der Pilgerfahrten begann man die charakteristischen Hochkreuze Irlands zu erbauen, die bis in unsere Zeit überdauert haben. Sie erhielten bisweilen eine besondere Funktion in den religiösen Übungen der Pilger, welche diese Stätten besuchten. Sie wurden Stationen auf der Turas, d.h. dem Umgang und Umkreisen des Heiligtums.
Ein Ort, wo dieser physische Aspekt des irischen Pilgerns bis in unsere Zeit erhalten geblieben ist, befindet sich 40 Kilometer nordwestlich von Cleenish auf einer weithin bekannten Insel im Lough Derg: dem Purgatorium Sancti Patricii. Einer alten Überlieferung nach soll Christus dort dem hl. Patrick den Eingang zur Hölle und deren Rand, das Fegefeuer, gezeigt haben. Auf jeden Fall ist an jenem Ort schon in früher Zeit ein Kloster attestiert. Pilger kamen und versuchten wenigstens für die Dauer ihres Aufenthalt das strenge, asketische Leben der Mönche zu imitieren. So bekannt wurde die Insel später, dass das „Purgatorium“ der einzige namentlich genannte Ort Irlands auf Martin Behaims Globus aus dem Jahr 1492 war. Ritter und Nobelmänner aus dem fernen Ungarn genauso wie Vertraute des spanischen Königs sind schriftlich verbürgte Pilger an diesem „Ende der Welt“. Und wer heute diesen Ort besucht, kann immer noch eintauchen in eine andere, archaische Form der Wallfahrt. Noch bevor man zu jener Insel übersetzt, beginnt man zu Mitternacht mit dem Fasten. Auf der Insel selbst werden die Schuhe ausgezogen. Barfuß zieht der Pilger nun zur Kirche und barfuß bleibt er die ganze Zeit über während er im Laufe der drei Tage die sogenannten „Stationen“ absolviert: eine Abfolge von einfachen Gebeten, im Knien und bei Umrundungen bestimmter heiliger Stätten. Dazu kommen symbolhafte Handlungen, zu denen auch das Stehen vor dem Kreuz gehört, wo der Pilger die Arme ausstreckt und dreimal wiederholt: „Ich widersage der Welt, dem Fleisch und dem Teufel“. In der ersten Nacht nach der Ankunft hält man die Vigil. Kein Schlaf, sondern das durchgehende Gebet in der Basilika. Die Türen werden dabei geschlossen. Gleichsam „abgeschnitten von der Welt“ beten die bußfertigen Menschen, die auch heute noch zu tausenden jedes Jahr die Insel in dieser Weise aufsuchen, und stützen sich so gegenseitig in der nächtlichen Wache. Nur eine Mahlzeit am Tag, in der Form von trockenem Brot oder Zwieback wird eingenommen. Und bei Brot fastet man auch bis zum Ende des dritten Tags, nachdem man wieder auf das Festland zurückgekehrt ist. Es ist ein extremes, und wie Pilger berichten, reinigendes Erlebnis, das an die eigenen Grenzen und damit vielleicht auch zu jener Schwelle führt, von der aus man einen ungetrübteren Blick auf Gott haben mag.
Viele Zeitgenossen der Moderne sind von all diesem Geschehen fasziniert und abgestoßen zugleich. „Was soll dies bringen? Was hat Gott davon?“, spricht der aufgeklärte Mensch. Seit Descartes verstehen viele die Seele als „Ghost in the Machine“ – als Geist in einem mechanisch funktionierenden Körper. Körper und Seele existieren nach dieser Sicht im Wesentlichen getrennt voneinander. Damit wird Religion jedoch zu etwas Zerebralem; zu einer rein intellektuellen Angelegenheit. Diese Anschauung ist dem jüdisch-christlichen Kulturkreis fremd. Zeichen, Sakramente, Sakramentalien, Pilgerfahrten – sie alle vermitteln, dass der Mensch eine Einheit ist, in der das Innere das Äußere prägt und das Äußere das Innere. Zu knien ist etwa kein bloß körperlicher Akt, sondern – bewusst getan – ist es Ausdruck einer Haltung – und als Haltung wiederum formt, stützt und erhält es die innere Gesinnung. Eine zwanghafte Aufspaltung, wie sie später in der Moderne entstand, kannten die keltischen Iren nicht und verliehen damit ihrem Christentum jenen bodenständigen Charakter, der alle gesunde Religiosität seit jeher prägt.
Vielleicht gab es Riten, wie wir sie hier beschrieben haben, einst auch für die Besucher von Cleenish Island, bevor das Kloster dort verschwand. Doch als ich am heutigen Tag über die Stahlbrücke den Inselboden betrat erinnerte wenig an eine solche religiöse Vergangenheit. Erst im Jahr 2000 hat man einen Kreuzstein am Rand des alten Friedhofs aufgerichtet, der an Sinell und seinen berühmten Schüler Kolumban erinnern soll. Was das Gesicht der Insel heute weit mehr prägt, ist ein Dutzend kleiner, fast identischer, jedoch weitgehend verfallener Cottages. Ihre Errichtung ist gut 100 Jahre her und geschah im Rahmen der Bemühung, nach dem Ersten Weltkrieg den heimkehrenden Soldaten eine Perspektive zu geben. Ein lokaler Verein hat diese Geschichte und die Einzelschicksale unlängst für die Nachwelt in Buch und Film dokumentiert. Glücklich sind nach den Schrecken des Krieges nur wenige auf Cleenish geworden. Manche litten still nach traumatischen Jahren im Schützengraben, manche gründeten Familien und versuchten, im Lachen ihrer Kinder die Vergangenheit zu vergessen. Doch die Zwanziger-Jahre des 20. Jahrhunderts waren hart. Seuchen dezimierten das Vieh und erreichbar war die Insel damals nur beschwerlich mit einem Boot. Die meisten haben diesen „Neuen Anfang“ abgebrochen und zogen wieder fort. Die Ruinen jener Zeit berühren. Sie sind noch nicht so alt, als dass der Vorstellung kaum mehr etwas Konkretes bliebe. Man sieht hier einen alten Bettenrost, dort blaue Farbe an den feuchten Wänden und kann erahnen, wie es war, sich an einem nebeligen Novembertag vor dem gemauerten Kamin zu wärmen.
Nach einer Weile, die ich nachdenklich, über die Insel gewandert war, nahm ich den Weg über die Koppeln und erreichte zwischen blökenden Schafen den östlichen Wasserarm. Es gab hier eine Anlegestelle – und ein Boot, das allerdings zwei Fuß unter Wasser lag. Ich blickte zum anderen Ufer. Es war vielleicht 70 oder 80 Meter entfernt. Ein bisschen überlegte ich noch hin und her. Sollte ich es wagen? Doch schließlich gab ich mir einen Ruck und begann mein Gepäck, die Fronttaschen, sowie meine Kleider dreifach in die mitgebrachten Müllsäcke einzupacken. Ein bisschen Luft ließ ich mit drin. Das würde es mir erleichtern. Und dann, in der Hoffnung, das moorige, rot-braune Wasser sei nicht voller Blutegel, watete ich in den trägen Fluss hinein – und schwamm, als ich den Boden unter meinen Füßen verlor. Vor mir schob ich die aufgeblähten Bündel her. Kräftige Züge, kurze Atmung im kühlen Wasser und schon war ich über die Mitte hinaus. Dort merkte ich dann, dass ich vergessen hatte, meine Mütze abzunehmen. Aber auch wenn hier sicher keine Badehaubenpflicht bestand, ließ ich sie oben. Wohin auch damit, jetzt mitten im Fluss. Aber wäre das Boot, das fünf Minuten nach meiner Querung vorüber glitt, etwas früher gekommen, hätte die Kombination von Wollmütze und Badehose wohl eine Frage entstehen lassen.
Kurz hinter den schwimmenden Blättern gelber Teichrosen spürte ich wieder Grund und stand, nachdem ich am Ufer den Stacheldraht der Kuhweide umgangen hatte, triefend – aber überaus zufrieden – dort, wo ich stehen hatte wollen. Mit dieser kreativen Wegführung hatte ich mindestens 18 Kilometer über stark befahrene Straßen gespart. Wasser tropfte aus dem Bart und dann auch vom Himmel. Ich wartete den Schauer ab und packte erst dann meine Kleider und meinen Rucksack wieder aus. Alles war trocken geblieben. Und so ging ich guter Dinge in den Osten.
Österreich -Santiago 1998
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