"Die Zeit der Gaben" von Patrick Leigh Fermor

Antworten
Benutzeravatar
chrisbee
Beiträge: 213
Registriert: 18. Jul 2019, 22:09
Wohnort: Frankfurt/Main

"Die Zeit der Gaben" von Patrick Leigh Fermor

Beitrag von chrisbee »

Gerade zu Ende gehört (als Hörbuch): „Die Zeit der Gaben“ von Patrick Leigh Fermor. Es geht um die Wanderung des jungen, 18-jährigen Engländers von Hoek van Holland nach Konstantinopel. Es ist jetzt 90 Jahre her, dass er aufbrach, am 8. Dezember 1933 ging er auf die Fähre nach Holland und nahm dann den Weg, den ich selbst gut kenne, nämlich über Nimwegen dem Rhein folgend. An Heiligabend war er in Bingen. Bei Mannheim folgte er dem Neckar nach Heidelberg, dann ging es weiter nach Bruchsal. Seine weiteren Stationen: Stuttgart, Ulm und dann München. Hier wurde ihm in der Jugendherberge alles gestohlen, wobei der größte Verlust wohl sein dickes Tagebuch mit all den Reisenotizen war. Sein Konsulat unterstützte ihn und er kam an Kontakte, die ihm später noch hilfreich werden würden, vor allem in den „besseren“ und Adels-Kreisen, in denen er dann zwecks Übernachtung und Verköstigung von Schloss zu Schloss (vor allem an der Donau) gewissermaßen weitergereicht wurde.

Etwas länger war er in Wien, weil er auf eine Geldsendung seiner Eltern aus England warten musste. Fermors Reisebudgets war denkbar minimal. Mit Portraitzeichnungen konnte er sich etwas verdienen. Hier kam er zuerst bei der Heilsarmee unter – eine ihm bis dahin völlig unbekannte Armee, auf früheren Stationen ging er gelegentlich zur Polizei und konnte in einer Zelle übernachten. Und in Bruchsal kam er beim Bürgermeister höchstpersönlich im großen Schloss unter. Er erhielt hier auch eine Art Empfehlung für andere Bürgermeister auf seinem Weg, die ihm Kost und Logis gewähren würden. Überhaupt war die Zuwendung und Aufnahmebereitschaft, von der Fermor berichtet, geradezu unglaublich. Selbst unter Gastwirten und ihm Wildfremden, die ihm einfach ein Bett anboten und sich um ihn kümmerten. Es sind vor allem die vielen Kontakte mit den Freunden von Freunden und die schnell geschlossenen Freundschaften unterwegs in Gaststuben und Cafes, von denen er berichtet, und die manchmal brieflich noch jahrelang weitergeführt wurden.

Aber Fermor hat wohl auch alle Welt begeistert – vor allem wohl deshalb, weil er selbst begeistert war. Gegen Ende seines Buches merkt er mal an, dass alles, was er über die Reste der verblassenden Donaumonarchie in Österreich von Zeitgenossen zu lesen bekam, diesem melancholischen Abgesang auf eine vergangene Herrlichkeit frönte, wohingegen er selbst alles, was ihm dort begegnete, eher als die wunderbaren Erbstücke eines goldenes Zeitalters bestaunte. Und bestaunt hat er wirklich alles, keine Kathedrale, kein Kloster hat er ausgelassen, keine Klassiker der Architektur, der Kunst, der Literatur. Fermor gehörte einem eher altertümlichen Bildungsadel an, der eigentlich mehr in der Klassik und in literarischen Welten lebte – und deshalb auch schon in jungen Jahren jede Konversation blendend beherrschte. Und über alles ließ er sich in seinem Buch aus. Er hatte noch gelernt, Hunderte von Seiten auswendig zu rezitieren – natürlich Klassiker – was auf einsamen Wegen sehr hilfreich ist. Dass er auf diese Wanderschaft verfiel, hat vor allem mit seinem Schulverweis zu tun: er flog raus, weil er immer mal wieder Probleme mit den starren Internatsregeln bekam. Überwiegend Regeln, über die man eigentlich nur den Kopf schütteln kann.

Seine Zeit in Österreich und wie Fermor das alles wahrgenommen hat, ist ein eigenes Thema. Fakt ist, das wenige Jahre später dieses alte Europa komplett zusammengebrochen ist und die Welt nach diesem Krieg auf eine Weise anders war, dass man Fermors Geschichte und seine Erzählungen kaum nachvollziehen kann und mir seine Erzählungen und Beschreibungen deshalb wie ein reiner Glücksfall vorkommen – auch wegen der wundervollen Sprache. Vor allem die Anfangszeit an Rhein und Neckar und bis nach München. Die Atmosphäre in den Gaststuben am Rhein, in den Familien und wie man dort Weihnachten feierte, die Landschaften im Schnee .... Man sang viel. Überall wurde gesungen. Und trafen sich Studenten zu einer Party, dann wurde erst einmal gesungen. Es war stiller als heute auf der Welt, aber überall wurde gesungen. Das hat mich verblüfft. Fermor schreibt, dass er politisch unbedarft war, aber er hat die ersten Braunhemden, die zunehmend die Öffentlichkeit eroberten, natürlich auf dem Schirm. Allerdings sangen auch die Nazis sehr schöne alte Volkslieder. Aber, so schreibt er, kaum jemand mochte sie – zumindest 1933.

Das Buch ist erst Jahrzehnte später im Rückblick geschrieben worden. Fermor lebte später in Griechenland auf dem Peleponnes. Sein Buch erschien erstmals 1977. Als es 2005 in einer deutschen Übersetzung in einem Schweizer Verlag herauskam, habe ich es begeistert gelesen. Und jetzt also die Hörbuchfassung gehört, die in diesem Jahr erschienen ist. „Die Zeit der Gaben“ endet am Ostersamstag 1934 auf der Donaubrücke zwischen Slowakei und Ungarn in Gran (Esztergom), also kurz vor Budapest.

Es gibt einen zweiten Teil: „Zwischen Wäldern und Wasser“, der am „Eisernen Tor“ enden soll, allerdings nur als Buch. Und im hohen Alter hat er noch einen dritten Teil verfasst „Die unterbrochene Reise“ – der allerdings vervollständigt werden musste, weil Fermor 2011 verstarb. Beide Bücher habe ich noch nicht gelesen, sie liegen hier vor mir und ich freue mich darauf. Soweit ich es verstanden haben, führt der dritte Band zum Berg Athos.

Gelesen habe ich seinerzeit jedoch auch dieses schöne Buch „Reise in die Stille – Zu Gast in Klöstern“. Darüber mehr in einem Artikel von Karl-Markus Gaus von 2000, den Wikipedia verlinkt hat. Dieser link zum ZEIT-Archiv funktioniert noch, auch der link zum Text von Wolfgang Büscher, der 2006 Patrick Leigh Fermor in Griechenland aufgesucht hat und einen sehr schönen Bericht darüber veröffentlichte.

https://de.wikipedia.org/wiki/Patrick_Leigh_Fermor

Gruß chrisbee
Antworten