Um zum Anfangs-Posting zurückzukehren: Muss die Geschichte des Jakobsweges womöglich umgeschrieben werden?
Ich bin gerade dabei, mich dazu etwas einzulesen. Es gibt zahlreiche Historiker, die intensiv an der Geschichte des maurischen Spaniens forschen. Und sie widersprechen sich auch durchaus; was bei der Faktenlage auch nicht verwunderlich ist. Es gibt praktisch keine wirklich objektiven Dokumente aus dieser Zeit.
Bloss in einem sind sich alle einig: Das Verhältnis zwischen christlich und muslimisch dominierten Machtbereichen war wesentlich differenzierter, als es die fundamentalistischen Jakobsweg-Verehrer uns gerne weismachen möchten. Und Religion spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Beispielsweise verheirateten christliche Könige ihre Töchter mit muslimischen Herrschern. Die asturische Prinzessin freiwillig im Harem, fast schon eine Steigerung des Habsburgischen 'felix austria nube'. Oder die muslimischen Herrscher von Granada helfen den christlichen Truppen bei der Eroberung des maurischen Sevillas, zahlen Tribut und können so mehr als zweihundert Jahre weiter existieren. Teilweise kämpften christliche Verbündete der Muslime gegen christliche Kämpfer eines anderen christlichen Königs etc. etc.
Selbst der Begriff der »Reconquista« ist unter Forschern umstritten. Es ist auch ein relativ moderner Begriff, der wohl erst im 18. Jahrhundert überhaupt aufkam. Schließlich waren auch die Westgoten Eroberer und dominierten nur etwa zweihundert Jahre die Iberische Halbinsel bevor die Muslime eintrafen. Manche Forscher würden daher eher gerne von einer christlichen »conquista = Eroberung« sprechen.
Was ich nun aber wirklich gefährlich finde, ist dieses romantisch verführende Legenden-Narrativ um den Jakobsweg; besonders eklatant in dem in einem anderen Thread beschriebenen aktuellen Jakobsweg-Film auf servus.tv. Dieses Bedürfnis nach einer emotionalen Traumwelt, fern jeder Realität, sehe ich als Gefahr für unsere liberale Demokratie.
»Ich habe Angst um Großbritannien, weil der Wahlkampf, den wir soeben bei den Konservativen beobachten konnten, der unehrlichste war, an den ich mich erinnern kann – und der doch überwältigenden Erfolg hatte.
Wir haben jetzt eine Öffentlichkeit, deren Mehrheit entweder nicht weiß, dass man sie anlügt, oder der das nichts ausmacht.«
Quelle: https://taz.de/Der-Brexit-von-Berlin-aus-betrachtet/!5648835/
Mario