Nicht neu, aber mal wieder hier

[Anne136]

Hallo,
ich habe schon öfter hier vorbeigeschaut,
das letzte Mal vor fast 2 Jahren, als mich der Camino mal wieder rief.
Pilgererfahrungen habe ich genug, jeder Weg hat seine Ähnlichkeiten (Herbergen etc.) aber die Wege sind jedes Mal anders. Und auch wenn man den gleichen Weg noch einmal geht, sieht man vieles anders oder der Weg wirkt ganz anders aufgrund der Begegnungen, Gespräche, Jahreszeiten, Umstände.
2008 bin ich, nachdem der Weg mich aus heiterem Himmel rief, den Camino Frances von Pamplona nach Santiago gepilgert. Der Weg hat mich überwältigt und seitdem komme ich nicht mehr vom Weg los und gleichzeitig die Sorge: kann ein weiterer Weg genau so schön und beeindruckend werden wie der erste Weg.
2010 bin ich die ersten 500km der Via Plata von Sevilla nach Salamanca gelaufen und diese 3 Wochen waren der Weg meines Lebens. Die Natur und die Begegnung und Gespräche mit meinem persönlichen Pilgerengel. Danach fiel ich in ein tiefes Loch und ich glaubte dem Loch mit der Fortsetzung des Weges entfliehen zu können. 2011 lief ich von Salamanca nach Santiago, wieder wunderschön - und ganz anders als die ersten 500km und erkannte, dass ich etwas für mich und meine Seele tun muss.
2012 folgte die Diagnose Multiple Sklerose und endlich wusste ich, was mit mir los war. Gespürt habe ich die MS drei Jahre lang, wenn auch nur mit milden Symptomen die kamen und gingen und niemand hat mich ernst genommen. Einerseits erleichtert zu wissen was los ist, andererseits erschrocken über die möglichen Konsequenzen und das Nicht-Wissen-was-kommt floh ich kurzerhand auf den Camino del Norte. Dieser Weg hat mich nie gerufen und ich war mir dem Herzen nicht auf dem Weg und auch das war eine Erfahrung: nach 300km durch brütende Hitze drehte ich mitten auf dem Weg um. Morgens wusste ich noch nicht, dass der Weg an diesem Tag endet und von jetzt auf gleich sagte ich mir: ich kann nicht mehr, es ist der falsche Zeitpunkt und der falsche Weg. Mir ist heiß, ich habe Hunger und jeden Tag Schmerzen im Fuß... Und dann stand da ein Bus. Ich stieg ein und fuhr zurück und lag abends im eigenen Bett. Ich setzte mich mit der Diagnose auseinander, begann eine Therapie gegen die MS und lernte damit zu leben.
2013 hatte ich einen schweren Schub mit inkompletten Querschnitt bis zur Brust, der Rolli stand vor dem Bett, das Cortison half nicht, aber eine spezielle Dialyse half und ich verließ auf eigenen Beinen das Krankenhaus.
Seitdem begleiten mich Gangstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Sehstörungen, Fatigue, Schmerzen..... die Liste ist lang - aber das Leben ist dennoch schön.
Und dann lief ich 2014 den Camino Primitivo. Das kleine gangunsichere Moppelchen auf dem Weg durch die Berge... und kam an.
Am Tag nach meiner Ankunft in Santiago kam wieder ein schwerer Schub und ich hakte das Thema Camino für mich ab.
2017 sagte eine Pilgerfreundin unseren gemeinsamen Urlaub in Muxia spontan ab. Alleine am Ende der Welt? Darauf hatte ich keine Lust und ich startete spontan auf den Camino Ingles. Der war echt anstrengend, ohne Vorbereitung mit den vielen Hügeln.
Danach irgendwann kam Corona und der Weg rief wieder.
2022 begab ich mich auf den Portugues, geschockt von den Pilgermassen, voll mit Fragen: kann ich den Weg schaffen? Ich selbst traute ihn mir nicht zu, aber der Weg rief mich ganz laut. Erstmals ließ ich meinen Rucksack, inklusiv Beatmungsgerät für die Nächte, transportieren.
Ich fühlte mich nicht zugehörig, konnte nicht in öffentlichen Herbergen schlafen. Erschrocken war ich über die Massen der Pilger, wenn auch ich einen Teil davon war.
Im Herbst 2023 war ich in der neurologischen Reha, quälte mich die Hügel hoch und mir kam der Gedanke: nächstes Jahr läufst du den Camino Aragones.
Und des halb bin ich jetzt mal wieder hier um mich auszutauschen. Irgendwie ist es total verrückt: ich traute mir den leichten Portugues nicht zu und ich will durch und über die Pyrenäen?
Egal ob es verrückt ist oder nicht: Ich kann mich gut einschätzen und mein Körper sagt mir was geht oder nicht. Für mich ist es ein größerer Verlust zu sagen: ich bleibe daheim als zu sagen: ich habe es probiert und es sollte nicht sein.
Etliche Infos habe ich schon bekommen, zu riskanten, unwegsamen Wegstücken, steilem Gefälle auf Geröll... Danke dafür.
Mal schauen was sich ergibt. Der Flug nach Pau ist gebucht und Ende Mai starte ich mal wieder.

Etwas lang geworden: aber das ist meine Geschichte.
Und jeder Weg ist wieder was ganz Neues.
Ich freue mich!
Gruß Anne

[Tritta]

Hallo Anne,

du hast eine interessante Geschichte. Und es ist bewundernswert wie du mit der MS lebst, nicht verzweifelst und nach vorne schaust.

Ich wünsche dir von Herzen alles Gute.
Buen camino, Tritta

[tsetse]

Mensch, Anne, ich musste ein paarmal schlucken, während ich Deine Erzählung gelesen habe. Hut ab vor Deiner Einstellung, nicht zu schauen was mal war, sondern was jetzt gerade ist und was geht.
Nimm uns bitte im Mai bitte mit auf den Aragones, oder erzähl uns hinterher davon.
Buen camino

[Pilger OllO]

Hallo Anne,

ich bewundere Deinen Mut zu dieser Offenheit hier im Forum und den Mut, wie Du mit Deiner Situation umgehst und positiv nach vorne schaust. Ich wünsche mir auch, dass Du uns mitnimmst auf Deinen Pilgerweg. Du kannst ganz sicher andere damit motivieren, es Dir nach zu machen.

Alles Gute und herzliche Grüße

Olaf

[Superfrauandrea]

Gänsehaut pur.


Alles Gute für dich!

[Simsim]

Liebe Anne,

whow, das ist eine unglaubliche, aber wahre Geschichte, die Du uns schenkst! Danke Dir und danke auch dem Camino, der Dich immer wieder ins Leben ruft! Ja, Du kannst bestimmt vielen anderen Mut machen! Du könntest ein Buch schreiben....wenn Du grad mal nicht unterwegs bist....
Lass uns weiter teilhaben!

Herzlichen Gruß,

Simone

[beliperegrina]

Liebe Anne,
Uih, wenn ich deine Vorstellung lese, mit welchem Mut und welcher Kraft du das bisher alles geschafft hast, bin ich auch sehr zuversichtlich, dass du auch den Aragonés schaffen wirst. Nur zu bewundern!!
Sei sicher, dass viele hier dich in Ganken begleiten werden.
Buen Camino,
Beate

[Giselle de compostelle]

Liebe Anne,
Zunächst mal herzlich willkommen zurück!
Ich bin sehr ergriffen von Deinem Bericht. Und ich bewundere Deine Lebenseinstellung und dieses "ich lass mich nicht unterkriegen ".
Bitte berichte gern hier über Deinen Camino Aragones. Ich würde Dich allzugern virtuell begleiten.

Herzlichst buen camino

Giselle de compostelle

[Klopfer66]

Für mich ist es ein größerer Verlust zu sagen: ich bleibe daheim als zu sagen: ich habe es probiert und es sollte nicht sein.

Hallo Anne,

dieser Satz hat mich sehr brührt.
Wie stark Du doch bist!

Ich wünsche Dir alle Kraft für Deinen weiteren Weg und diesen wirst Du auch schaffen, denn der Weg ruft Dich und beschützt Dich.

Buen Camino, LG Claudia

[Norbert]

Hallo Anne,

Dir gebührt mein voller Respekt! Ich wünsche Dir für Dein Vorhaben alles Gute und schreib uns, wie es Dir ergangen ist !

Buen Camino

[Anne136]

Danke für die "Willkommen-zurück"-Grüße.
Gerne berichte ich.
Gestern habe ich mir erst einmal neue Wanderschuhe gekauft. Die letzten gerne getragenen Schuhe sind auf dem Portugues geblieben, nachdem die Sohle abgefallen ist. Seit gestern trage ich nun die neuen Meindl und bislang fühlen sie sich gut an.
Gruß Anne

[Berta71]

Liebe Anne,
auch ich war sehr ergriffen von deinem Bericht und danke dir sehr für deinen Mut und die Offenheit.
Es macht mir sehr viel Mut grad zur Zeit. Musste aus gesundheitlichen Gründen meinen Wunsch den 2022 "unterbrochenen" Camino frances jetzt Ende April weiterzugehen nun doch auf Eis legen. Hoffe sehr, dass ich im August wieder gehen kann.
Dein Satz:"Für mich ist es ein größerer Verlust zu sagen: ich bleibe daheim als zu sagen: ich habe es probiert und es sollte nicht sein." ist sehr Mut machend.
Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute für deinen geplanten Weg
NEVER GIVE UP!!!

Gottes Segen und alles Gute
Berta

[Berta71]

Und ja bitte schreib unbedingt wie es dir ergangen ist....
Danke

[Anne136]

Wenn ich an mein Vorhaben denke, durchflutet mich ein riesiges Glücksgefühl. Keine Angst, keine Nervosität - einfach nur Freude.
Es ist schon fast schade, dass ich durch meine Pilgererfahrungen im Vorfeld so wenig Gedanken machen muss.
Meine Packliste hat sich in den letzten 16 Jahren immer als gut erwiesen, keine Recherchen und Überlegungen notwendig.
Auch schade, dass es nicht soo viele Berichte und Blogs zu dem Weg gibt, aber die Fotos die man findet sich unheimlich schön und ich freue mich auf die Natur, die Panoramen und die Begegnungen.
Gerade auf den ruhigen Wegen, waren meine Begegnungen immer besonders, als alleine laufende Frau sowieso. So viel Hilfsbereitschaft und Stolz der Einheimischen, die mir ein Bocadillo auf dem Fahrrad hinterherbrachten, mich stolz durch ihr kleines Dorf begleitet haben, frische Möhren aus dem Garten reichten, privat gekocht haben (Bar durch Krankheit geschlossen), ein Bett angeboten haben...
Bis Ende Mai ist noch so lange hin, andererseits auch nicht. Abgesehen von etwas neuer Wanderkleidung (bin stolz, habe 21kg abgenommen und nix passt mehr) ist alles vorhanden. Sobald das Wetter wieder etwas einladender ist, geht es wieder zum Trainingslauf in den Wald.
Gruß und Danke für eure guten Gedanken!
Anne