Overtourism auf den Caminos?

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Tritta
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Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Tritta »

Oh, das bringt Licht in's Dunkle. :lol:
Danke für die Aufklärung.
Und nen buen camino.
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donjohannes
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Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von donjohannes »

Da mein Camino 1998 noch unter anderen Umständen stattfand, weiß ich natürlich nicht, wie es heute ist. Ich hatte 2022 nahe Vezelay eine deutsche Pilgerin getroffen, die von zuhause aufgebrochen war, dann nach 2000km in Burgos wegen der "Massen" umdrehte und bei unserem Treffen gerade nach Hause lief. Das gab mir schon zu denken.

Als jemand, der meist einsame Pilgerrouten geht oder selbst zusammenstellt, hier mal die Frage in die Runde:

Es gibt jene, die auch inmitten des Meeres an Menschen - gerade durch Begegnungen - schöne Erfahrungen machen und selbst 2024 gerne den Hauptweg gehen und ihren Camino genießen. Sonst müsste der Strom der Leute ja durch Jahre an schlechten Erfahrungen und Erlebnisberichten abnehmen.

Es gibt aber auch jene, denen es augenscheinlich "zuviel" geworden ist, die aber trotzdem gerne Pilgern (oder spirituell Wandern, oder was auch immer Leute heute unter dem Wort verstehen). Was spricht für jene, die sich beklagen, dagegen, einen anderen Weg zu gehen? - oder wenn Santiago das Ziel sein soll, einen eigenen Weg nach Santiago zu erstellen? Eine alternative Route? Es ist ja nicht so, dass der CF (und andere populäre Routen) der schönste Wanderweg der Welt wäre. Warum für Teile nicht auf selbstgebastelte Routen ausweichen und ein bisschen Abenteuer schnuppern? In privaten Unterkünften unterkommen oder das Zelt bei einem Bauern aufschlagen? Die Begegnungen mit den Menschen, dort wo kein Tourismus ist, sind immer spannender und auf jeden Fall herzlicher. Wenn man Einsamkeit wirklich so schätzt, warum dann nicht so laufen, wie es Pilger über die Jahrhunderte immer getan haben - von daheim weg. Ich mein gar nicht, dass man bei sich daheim starten muss. Ich meine, dass eigentlich jede Straße in Europa schon mal ein Jakobsweg gewesen ist und auf jedem Pfad in Spanien ist schon mal ein spanischer Pilger von daheim aus unterwegs gewesen. Warum an Muscheln und gelben Pfeilen klammern, die gewiss bequem sind, aber nicht die einzigen Wege markieren, die nach Santiago führen? Ich schaue auf Garmin Basecamp und sehe in jeder Ecke von Spanien tausende Feldwege und kleine Straßen. Ich verstehe, dass man damit auch manche klassische Sehenswürdigkeiten auslässt und die Infrastruktur nicht mehr hat, aber wenn ich überlege, nicht zu gehen, oder wie die Dame, die ich getroffen habe, umzudrehen, dann lasse ich diese Sehenswürdigkeiten ja auch aus, oder? Und es geht doch niemand wegen der Stempel (solche könntet ihr übrigens auf einem eigenen Camino vielleicht im Rathaus und - wenn vorhanden - in einem Pfarrhaus erbitten).
Wenn ich mit diesen Gedanken für jene, die sich beschweren, auf dem Holzweg bin, dann stellt gerne rein, warum das für euch zb nicht in Frage kommen würde und was ihr von einem "offiziellen" Weg so vermissen würdet, dass diese "Alternative" keine für euch ist. Denn wenn ihr wirklich ein Abenteuer und Pilgererlebnis wie in den 80ern sucht, dann liegt es nur an euch. Das "genug Pilger für Infrastruktur" aber nicht "zuviele Pilger" das gibt es (leider?) wenn überhaupt heute noch dann nur auf den exotischten der Nebenrouten bis sie mit den Hauptwegen verschmelzen. Aber am "zuviel" ist auch jeder beteiligt, der nach Santiago geht, und sich beklagt.
Österreich -Santiago 1998
Liechtenstein - Jerusalem und zurück 2013-14 (http://www.4kmh.com/neo)
Triest - Cannes (Via Alpina Sacra) 2018 ( http://www.4kmh.com/vas )
Irland - Italien (Via Columbani) 2022
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Via2010
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Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Via2010 »

Wahre Worte, Don Johannes.

Gerade meine jüngsten Erlebnisse auf der Via Francigena Fabaria in Sizilien bestätigen dies.

Ich kann nicht Pilgerherbergen alle paar Kilometer, Bars für die Einkehr und bekannte Sehenswürdigkeiten erwarten und dann hoffen, der einzige Tourist zu sein.
andrea+wildgans
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Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von andrea+wildgans »

Zu Don Johannes

Was ich vielleicht vermissen würde? Hm... lass mich einen kleinen Umweg wählen: Es gibt Kirchen, in denen merkt man, finde ich jedenfalls, dass dort viel und intensiv gebetet wurde, "da ist was", die "hat was". Andere wirken merkwürdig leer, obwohl sie "voll gestellt" sind. Ich glaube, dass auch ein Weg, der viel von Menschen mit gewissen Hoffnungen, Erwartungen, Motiven,...begangen wird, eine Ausstrahlung hat - im Gegensatz zu dem Feldweg hier draußen vor der Haustür. Er ist möglicherweise anders/mehr mit Energie aufgeladen.
Ob ein "zuviel" an Menschen, die andere Intentionen als frühere Pilger haben, dieser Ausstrahlung etwas nehmen können, das weiß ich nicht. Vielleicht "versteckt" sich der "spirit" des camino eher ein wenig, um sich nicht "mißbrauchen" zu lassen. Vielleicht ist er auf andere (Pilger-)Wege ausgewichen...

Ich bin den Frances 1997 gelaufen - und was mich zögern lassen würde, ihn heute zu gehen, wären wirklich die ganzen äußeren Veränderungen auf dem Weg - ich möchte lieber die Bilder und Eindrücke und Gefühle von damals wie einen Schatz behüten.

Danke übrigens für Dein Teilhaben-lassen an Deinem Leben durch die samstäglichen Videos! Finde ich sehr spannend!

Liebe Grüße, Andrea
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Gertrudis
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Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Gertrudis »

Johannes und Andrea, ich kann Eure Gedanken gut nachvollziehen.
Selber war ich in den letzten Jahren auch mehr auf unbekannten, z.T. "selbergebastelten" Routen unterwegs.
Was die Orte mit dem besonderen "Spirit" angeht, habe ich allerdings festgestellt, dass es früher mehr Pilger gab, die Umwege zu solchen Orten auf sich genommen haben. Zum Beispiel San Juan de la Peña, Kloster Leyre, die Klöster Suso und Yuso, Peñalba und das Valle del Silencio, Santo Domingo de Silos... alles Orte mit besonderem Geist, Geschichte und Energie, die in den 90ern durchaus noch häufiger besucht wurden (in San Millan gab's z.B. sogar eine Pilgerherberge!). Da hat man sich ganz ohne elektronische Hilfsmittel durchgeschlagen 😅
Ich erlebe es so, dass viele Menschen das Gefühl der Sicherheit, des aufgehoben Seins, geführt, versorgt und von Eigenverantwortung weitgehend entlastet zu sein, mitschwimmen zu können im Strom und einen gewissen Komfort sehr schätzen bzw brauchen, um sich überhaupt auf den Weg zu machen, und das ist dann halt der Francés, Portugues oder Norte.
Pioniere gab's früher auch nicht soo viele, aber die sind halt damals mehr aufgefallen 😉
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